Ludwig van Beethoven, Ethel Smyth, Ozzy Osborne und Barbra Streisand – sie alle haben zwei Dinge gemeinsam: Sie kommen aus der Musikbranche, und sie leiden an eingeschränktem Hörvermögen bis hin zur vollkommenen Taubheit. Ein Phänomen, das unter Musikerinnen und Musikern nicht ungewöhnlich ist, aber dennoch wenig thematisiert wird. Der niederländische Komponist und Musiker Stephen Emmer möchte mit diesem Stigma brechen. Iris Freiberger stellt ihn vor.
Vor mehr als 10 Jahren konnte Komponist Stephen Emmer plötzlich nicht mehr gut hören. Zunächst war es ein ständiges Rauschen, das sich nach einiger Zeit dann zu einem einzigen Ton entwickelte – Ein permanentes Klingen in den Ohren, auch bekannt als Tinnitus. Emmer kann diesen Ton sogar benennen: es ist ein b. Er versucht das Beste aus der Situation und dem Dauerton zu machen, komponiert extra in der Tonart b.
“Der Arzt sagte, dass es damit zu tun haben muss, dass ich 20 Jahre auf einem Podium musiziert habe.”
Emmer hat in den 80ern in Pop Bands gespielt. Damals waren die Lautstärke und die Hörschäden, die damit verbunden sind, noch kein Thema unter Musikern. Er zieht einen Vergleich zu der Generation seiner Eltern. In den 50ern und 60ern sei man sich über die Gesundheitsrisiken durchs Rauchen auch noch nicht bewusst gewesen – das Rauchen wurde verharmlost. Heute wird davor gewarnt. Doch Hörbeschwerden in der Musikbranche seien nach wie vor ein Tabu-Thema.
“Ich glaube das ist ein ökonomischer Faktor. Sie bezahlen für deine professionellen Dienste und dann hat man Angst den Job zu verlieren. Leute, die nicht darüber informiert sind, denken schnell: ach dieser Musiker ist invalide. Er kann es nicht mehr produzieren.”
Damit heute vor allem Musiker aber auch die breite Öffentlichkeit über musikbedingten Hörverlust aufgeklärt wird, hat Stephen Emmer die „Artists Against Tinnitus Stiftung“ gegründet. In den Niederlanden sprechen sie mit der Regierung über die Lautstärke in Konzerten.
Es soll gemeinsam eine Lösung gefunden werden, die sowohl für die ausführenden Musikerinnen und Musiker als auch für das Publikum langfristig umgesetzt werden kann. Vielen sei gar nicht bewusst, dass Tinnitus ein Phänomen ist, das sich über Jahre hinweg oft ganz unbemerkt aufbaut. Die meisten Leute würden denken, der Ton oder das Rauschen seien sofort da.
Außerdem käme es nicht nur auf die Lautstärke an sich an, sondern auch auf die Dauer, der man dieser Lautstärke ausgesetzt sei. Mittlerweile hat sich der Ton in Emmers Ohren wieder zu einem Geräusch gewandelt. Ein ständiger Begleiter.
2012 war das Ringen im Ohr so schlimm, dass Stephen Emmer kurz davor war, seine Karriere niederzulegen. Mittlerweile sind die Beschwerden nur noch gering, mit seinem Album Mt Mundane will er auf die Problematik des Tinnitus und Hörverlustes in der Musikindustrie aufmerksam machen.
Das Thema Hörverlust hat Stephen Emmer in einem neuen Konzept Album verarbeitet. Mt Mundane erzählt in 15 Stücken von den Höhen und Tiefen seines Lebens, mit denen sich auch viele andere Menschen identifizieren können.
“Ich habe versucht das in meiner Musik zu vermitteln. Elemente von meiner Trauer, Elemente der Verzweiflung, der Hoffnung, Bedauern, Dankbarkeit symbolisiert die vielen Krisen, die ein einzelner bewältigen kann, um aus Elend etwas Schönes zu machen.”
[SWR Kultur / Treffpunkt Klassik – Iris Freiberger – 10 Oktober 2024]